Beschuss (Auszug aus dem Katalogtext von Veronika Schöne)

  Das Arbeiten mit Gegensätzen und der Unvorhersehbarkeit des Zufalls prägt auch Torsten Mauls jüngste Werkgruppe „Beschuss“. Bilder aus verschiedenen Werkphasen, von den frühen Kinderzeichnungen über kleinformatige Ölbilder bis zu den Lackarbeiten, hat er Beschießungen ausgesetzt, durch Schrot und einzelne Kugeln verschieden großer Kaliber. Je nachdem, welches Kaliber auf welches Material und aus welcher Entfernung trifft, reichen die Resultate von feiner Durchsiebung, glattem Durchschuss bis hin zur Zersplitterung des ganzen Bildes. Doch während sich in den geradezu meditativen Lackarbeiten die Gegensätze von hart und weich, fest und flüssig, von Hinzufügen und Wegnehmen die Waage halten und zu einem Ganzen fügen, durchbricht der Beschuss diese Harmonie. Er führt in eine aporetische Ambivalenz der Gleichzeitigkeit von Schönheit und Brutalität, die der Künstler in ihren verschiedenen Facetten auslotet. …

… In den neuen Werken Torsten Mauls findet sich die ganze Bandbreite des Ineinanders von Schaffen und Zerstörung: die Schönheit der zerborstenen Schieferbilder, die Zartheit der goldfarbenen Reparatur, die schöpferische Anregung durch die zersplitterten Austrittslöcher der Holzplatten, gegen die andere Werke zum Beschießen gelehnt wurden und aus denen Maul neue Bilder entwickelt hat, und schließlich die durchlöcherten, regelrecht hingerichteten Arbeiten.

Besonders eindringlich kommt der Aspekt des Schmerzes und der Verletzung in den Kinderzeichnungen des Künstlers zum Ausdruck (Beschuss  IV/1 bis 4), in denen die Unschuld der kindlichen Bildsprache in denkbar stärkstem Kontrast zu den Schrotspuren stehen oder, wie in dem Panzer (Beschuss  IV/2), wie ein brutale Realisierung einer aus kindlichem Gemüt entstandenen Kriegsszene wirken. Phantasiewelt und grausame Wirklichkeit treffen hier aufeinander und machen den Unterschied schmerzhaft bewusst.

Mit seiner neuen Werkgruppe reagiert Torsten Maul auf die Rückkehr des Krieges in die westliche Welt und seine substanzielle Zerstörung, die geradezu metaphorisch in der Zerstörung der Bildträger zum Ausdruck kommt. Gleichwohl hat er den Titel mit Bedacht gewählt: „Beschuss“, nicht „Erschießung“. Es sind Bilder, in denen Schaffen und Zerstörung, Anfang und Ende, Schönheit und Grausamkeit in unterschiedlichen Facetten ineinander greifen und einen Kreislauf bilden, in dem die Hoffnung der Resignation trotzt.


© Veronika Schöne